Südtirol eins

Lange hatten Bernd Kühl und Co. auf diesen Moment gewartet, im Sommer 1986 war es endlich soweit: Das Team von Radio Brenner strahlte seine Sendungen über die Antenne auf dem Schwarzenstein in Richtung Bayern ab. Nach wochenlangem Non-Stop-Music-Testprogramm startete am 10. Juli der offizielle Sendebetrieb. Da "Radio Brenner" mittlerweile auch in München stundenweise auf 92,4 Mhz zu hören war, wurde die Station in Italien in "Südtirol eins" umbenannt. Frequenz war die 104,05 (Stereo). Die Frequenz auf der Flatsch, die als Ersatz weiter in Betrieb blieb, wurde auf 106.4 Mhz abgeändert. Das Studio von "Südtirol eins" befand sich in der Lahnstraße in Sterzing, der Schwarzenstein bzw. die Flatsch wurden über Umsetzer auf der Plose bzw. dem Rosskopf angesteuert.

Links: Im ersten Stock dieses Hauses an der Lahnstraße in Sterzing saß "Südtirol eins"; Mitte: Der ausgebrannte Container; Rechts: Die Anlage auf der Flatschspitze, die stets parallel zum Schwarzenstein-Sender lief

Zum Team gehörten neben Bernd Kühl und Waldemar Müller unter anderem Christian Stürmann, Peter Baumann, Christian Brandstätter und Michael Jenssen. Am Programm hatte man einige Korrekturen vorgenommen, Klassiker wie die "Hör-Bar" oder der "Dauerbrenner" waren aber natürlich weiterhin zu hören.

Ein ruhiges, unbeschwertes Dasein sollte "Südtirol eins" aber nicht beschieden sein. Schon am 21. Juli 1986 legte die Südtiroler Landesregierung die Anlage auf dem Schwarzenstein vorübergehend wieder still. Begründung: Für die Bauten auf dem Berg habe keine Genehmigung vorgelegen. Der Sender lief zwar noch einige Zeit weiter, es konnte aber nicht mehr nachgetankt werden. Am 08. August verstummte Südtirol eins vom Schwarzenstein.

Für eine Übergangsphase sendete man nun wieder ausschließlich von der Flatsch nach Bayern, am 21. Oktober durfte man dann mittels einer einstweiligen Verfügung den Schwarzenstein wieder in Betrieb nehmen. Doch bereits am 09. Dezember 1986 wurden die Sendeanlage, die mittlerweile mit Propangas lief, und das Empfangsteil der Richtfunkstrecke (Studio - Roßkopf - Plose) wieder versiegelt. Dadurch war das Anschließen neuer Gasflaschen an das Aggregat - es handelte sich übrigens um einen umgebauten Fiat-Motor - nicht mehr möglich. Die Begründung des zuständigen Brunecker Bezirksrichters lautete diesmal, es liege bis dato keine Genehmigung für gezielte Sendungen ins Ausland vor. Diesmal strahlte die Schwarzenstein-Anlage noch für kurze Zeit einen Leerträger ab, als das Gas verbraucht war, blieb der Motor dann logischerweise stehen.

Über die Antenne auf der Flatsch lief das Programm jedoch weiter - allerdings nur, weil der Bezirksrichter eine Versiegelung des Studios in Sterzing nicht durchsetzen konnte. Auf der Flatsch wechselte man in Windeseile wieder auf die 104,05, den schlechteren Empfang begründete man gegenüber den Hörern mit "technischen Arbeiten". Erst im Mai 1987 schien für Südtirol 1 endlich Ruhe einzukehren: Das Verfassungsgericht Italiens entschied, dass Sendungen ins Ausland prinzipiell gestattet sind, der Schwarzenstein ging daraufhin umgehend wieder in Betrieb (14. Mai).

Im Jahre 1988 wechselte "Südtirol eins" seine Frequenz von 104,05 auf 101,3 Mhz, was sich als idealer Schachzug herausstellte. Nie zuvor war nämlich eine Station aus Südtirol so optimal zu empfangen gewesen. Sogar in Teilen Baden-Württembergs, Hessens, Thüringens und Sachsens war die Station noch in recht guter Qualität zu hören. Doch es nahte schon wieder Ungemach: Im August '88 belegte die Deutsche Bundespost die Frequenz 101,3 mit einem Pfeifton vom Münchner Olympiaturm. Einige Wochen später wurde die baldige Aufschaltung von "Antenne Bayern" angekündigt.

Daraus wurde jedoch vorerst nichts: Sendetechniker Roland Huber riskierte diesmal einen Machtkampf und ließ den Schwarzenstein fast ein Jahr lang unverdrossen weiter laufen. Immerhin kam das Signal in München stark genug an, um massive Störungen zu verursachen. Folge war allerdings, dass auf 101,3 monatelang ein Mischmasch aus "Südtirol eins" und der Testschleife zu hören war. Von einer Aufschaltung des regulären Programms sah "Antenne Bayern" zunächst ab.

Ein einschneidender Tag in der Geschichte der Sendeanlage auf dem Schwarzenstein war Freitag, der 25. August 1989: Zur Mittagszeit - der Wachposten war gerade zur tiefer gelegenen Schwarzenstein-Hütte abgestiegen - stand der Sendercontainer plötzlich lichterloh in Flammen. Die Anlage wurde nahezu komplett zerstört. An einen Sendebetrieb war natürlich vorerst nicht mehr zu denken, "Südtirol 1" wechselte wenige Tage später mit der 101,3 auf die Flatsch. Der Brandanschlag auf die Sendeanlage beschäftigte in der Folge die Justiz in Deutschland. Schon in den Jahren zuvor war mehrfach der Brenner-Container auf der Flatsch mutwillig beschädigt worden. 

Stets war Walter M., Ex-Technik-Chef von "Antenne Bayern", in der Nähe. Einmal wurde er sogar festgenommen, aufgrund mangelnder Beweise aber wieder auf freien Fuß gesetzt. Diesmal war die Beweislage eindeutiger: M. war an besagtem Samstag auf der Schwarzensteinhütte, hatte sich hier sogar ins Hüttenbuch eingetragen. Außerdem hatten Zeugen den damals 36-Jährigen Schlierseer mittags in der Nähe der Sendeanlage gesehen.

Zunächst befasste sich das Amtsgericht Miesbach mit der Angelegenheit. Hier wurde der Vorwurf in "Schwere Brandstiftung" umgewandelt, die Sache daher nach München verwiesen. Nach erneuter Beweisaufnahme lud die Justiz Walter M. vor Gericht. Doch der Techniker erschien nicht, war auch telefonisch nicht erreichbar. Als die Kripo daraufhin dessen Wohnung in Schliersee öffnete, stand diese leer. M. hatte sich offenbar abgesetzt. Jahre später wurde der Techniker im Zuge einer internationalen Fahndung in Chile aufgespürt, die dortigen Behörden haben dessen Auslieferung aber bis heute verweigert.

Über die Beweggründe von M. kann nur spekuliert werden. Fakt ist, dass der Schlierseer 1983 für "Radio M 1" tätig war. Damals waren die Halteseile der Antenne auf dem Schwarzenstein gekappt worden, worauf der Mast umkippte und abbrach. Immer wieder wurde "Radio Brenner" mit diesem Vorfall in Verbindung gebracht. So könnte es durchaus sein, dass M. späte Rache üben wollte.

Schon am 01. November 1989 war "Südtirol eins" wieder vom Schwarzenstein zu hören. Roland Huber hatte in Rekordzeit eine Ersatzanlage errichtet. Für den "Neubau" hatte er freilich keine Genehmigung. Und so erließ die Gemeinde Ahrntal schon am 9. November eine Abbruchverfügung. Der Sendebetrieb ging zwar vorerst weiter, allerdings nicht in der gewohnten Form: Zunächst nannte sich die Station wieder einige Tage lang "Radio Brenner", dann war vorübergehend eine Testschleife zu hören. Ab 7. Dezember funkte schließlich wieder "Südtirol eins".

Im Januar 1990 war schließlich das Gerangel um die Frequenz 101,3 Mhz beendet. Huber hatte ein Übereinkommen mit "Antenne Bayern" getroffen. Er wechselte die Frequenz auf 104.9 Mhz und erhielt dafür im Gegenzug eine stattliche Geldsumme. Die konnte Huber auch brauchen, hatte der Wiederaufbau der Anlage nach dem Brandanschlag doch viel Geld verschlungen. Der Techniker aus Bozen hatte zu diesem Zeitpunkt ohnehin die Nase voll und wollte die Anlage an "Südtirol eins" verkaufen. Während der Verhandlungen über die Kaufsumme kam es jedoch zum Bruch zwischen Huber und den Betreibern der Station. Immer wieder hatte Huber versucht, durch vorübergehende Abschaltung des Schwarzenstein-Senders die Verhandlungen voran und die Kaufsumme nach oben zu treiben. "Südtirol eins" ließ sich jedoch nicht aus der Reserve locken. Zu sicher waren sich die Betreiber, dass der Techniker keine andere Station zur Nutzung der Anlage finden würde.

Am 05. Mai 1990 - "Südtirol eins" hatte sich mittlerweile in "Radio Brenner Südtirol" (RBS) umbenannt - schaltete Roland Huber wieder mal ab. Noch glaubte bei RBS niemand, dass dies das endgültige Aus bedeuten könnte. Doch man verkannte in dieser Situation die Realität total. Huber hatte nämlich zu diesem Zeitpunkt bereits Verhandlungen mit Helga und Claus Führer aus Innsbruck erfolgreich zum Abschluss gebracht. Mutter und Sohn unterzeichneten einen Mietvertrag für die Anlage auf dem Schwarzenstein, Anfang Juli startete der neue Sender. Bei der Namenssuche war Huber den Betreibern behilflich: Der Bozener Techniker überließ ihnen die Kennung "Radio M 1", die seit Jahren in Italien auf seinen Namen eingetragen gewesen war. Damit war die Bahn frei für eine Wiedergeburt dieser legendären Station.

Mit "Radio Brenner" ging es nun freilich schnell dahin: Von der Flatsch aus erreichte man Bayern nur sehr schwach, da das UKW-Band kaum mehr Lücken ließ. Frequenz war mittlerweile die 105,92. Im Juli 1991 wurde "Brenner" von "Radio Zirog" übernommen, das die Frequenz für das Volksmusik-Programm "Radio Edelweiß" nutzte. Später sendete auf der 105,92 von der Flatsch für fast ein Jahr "Antenne Austria West" in Richtung Innsbruck.

Brenner-Programmchef Bernd Kühl arbeitete nach dem Ende von "RBS" mehrere Jahre bei "S4", dem vierten Hörfunk-Programm des Süddeutschen Rundfunks in Stuttgart. Waldemar Müller war zuletzt bei einem Krankenhausradio in der Nähe von Stuttgart tätig, der legendäre Moderator verstarb im Jahre 2001.


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Weiterführende Links:

Programmschema von Südtirol eins (1986)

 
"Jetzt kriegt ihn keiner mehr" - Mutmaßlicher
Schwarzenstein-Brandstifter in Chile aufgespürt


Südtirol eins im Tiroler Kabelnetz? (1987)

Ein interessantes Schreiben der Telesystem Tirol, das von 
Reiner Palma ausgegraben wurde. Darin bekundet der damalige Kabelnetz-Betreiber Interesse an den Einspeisung von Südtirol eins. Allerdings wurde daraus nichts - aus welchen Gründen auch immer.  




In solchen Flaschen wurde das
Propangas auf den Schwarzen-
stein geflogen