'Ne,
in die Berge gehen - niemals'
Interview mit Moderator Jürgen Kauer (Dr. Beat);
u.a. Radio Brenner und Radio 44
(Copyright: uhini.de -
2007)
Jürgen Kauer, Jahrgang
1953, war Herausgeber der Zeitschrift für alternativen Rundfunk
"Radio News" sowie freier Mitarbeiter und Moderator
bei RIAS Berlin und SFB 1, bevor er sich 1983 entschloss, zu
Radio Brenner nach Südtirol zu gehen. 1985 wechselte Jürgen
Kauer nach München zu Radio 44; das Foto oben zeigt ihn im
Studio des Senders an der Schellingstraße 44.
Sein weiterer Werdegang: 1986: Ufa Radio/RTL in Berlin; 1986:
"dfs – Deutscher Funk Programm Service" in München;
1986/1987: RPR/Radio 4 in Ludwigshafen, außerdem bis 1987
Moderator und Redakteur bei SFB 1; 1987 bis 1993: Radio Hamburg;
1993/1994: Programmleiter des RTL Networks in Stuttgart;
1994/1995: Programmberatung für Radio FFN, Hannover und RTL –
Der Oldie-Sender in Luxemburg; 1996 bis 1998: Leiter der On Air
Promotion bei 104.6 RTL Berlin. Seit 1999 arbeitet Jürgen
Kauer als
Programmberater und Coach,
u.a. für Radio Hamburg, Radio FFN, Fun Fun Radio, Fun Fun 95,
Oldie 95, MDR 1 Radio
Sachsen, Radio Ton, Meta
Productions Berlin. Außerdem
ist er Mitbegründer und
Gesellschafter der
"media on work"
- Gesellschaft für
mediale Schulung mbH in
Potsdam, die seit 2002
existiert.
"Schwarzbrenner
– ein Programm für
Kenner – mit Jürgen auf
Radio Brenner1" - Mit
diesem Slogan begann
seinerzeit eine Ihrer
Sendungen, in der Sie Funk
& Soul internationalen
Formats spielten. Herr
Kauer, wie viele
musikalische Freiheiten
hatte man denn bei Radio
Brenner?
Eigentlich hatte man alle
Freiheiten, die man sich
nur wünschen konnte.
Formatregeln, die wir
heute kennen, gab es
damals noch nicht. Dazu
fehlte der Input aus dem
amerikanischen Markt. Der
kam erst mit dem
Sendestart von 104.6 RTL
in Berlin. Erstmals wurde
ja hier ein Radioformat
auf Grundlage eines
umfangreichen
strategischen Researchs
entwickelt. Und mit Hilfe
von Marketingstrategien
wurde dieses Format
erfolgreich im Berliner
Markt umgesetzt und
innerhalb kürzester Zeit
der Marktführer
"Hundert,6" vom
Thron geholt.
Was hat Sie damals dazu
bewogen, zu Radio Brenner
nach Südtirol zu gehen?
Haben Sie fest dort gelebt
oder waren sie
"Pendler"?
Durch meine Tätigkeit bei
den öffentlich-rechtlichen
Sendern wurde mir sehr
schnell klar, dass sich
dieses Radiosystem nicht
von innen verändern lässt.
Eine Systemveränderung
war nur – und davon war
ich zutiefst überzeugt
– von außerhalb möglich.
Es musste Druck von außen
kommen, es musste also
eine Kraft her, die das
bestehende System in die
Zange nimmt. Und dafür
war Radio Brenner ideal.
Das Ergebnis war ja dann
bekannt. Nach knapp zwei
Jahren bin ich von Südtirol
nach München gegangen, um
von dort die ersten
Schritte ins Privatradio
in München zu begleiten.
In Sterzing hatte ich zwar
eine Wohnung, aber ich war
Pendler: Zehn Tage im
Monat arbeitete ich in
Berlin beim SFB, die
restliche Zeit bei Radio
Brenner. Die Fahrten
zwischen Berlin und Südtirol
wurden zeitlich – wenn möglich
- immer so gelegt, dass
man durch Bayern fuhr,
wenn Thomas Gottschalk und
Günther Jauch auf Bayern
3 moderierten. Das war
schon Kult damals.
Eigentlich war es für
mich unvorstellbar, in den
Bergen zu arbeiten. Ich
erinnere mich noch an eine
Begegnung mit Roger
Schawinski in Berlin. Dort
wurde ihm im April 1981
vom US-Magazin "Billboard"
der Radio Oscar für sein
Schweizer Radioprojekt
"Radio 24"
verliehen. Seine
Radiostation sendete ja
aus den italienischen
Alpen sein
24-Stunden-Pop-Programm
Richtung Zürich. Was
damals für viel Aufruhr
in der Schweiz sorgte und
letztendlich ebenfalls zur
Einführung des
Privatfunks in der Schweiz
führte. Nun, wir hatten
ihn als Gast in einer
RIAS-Sendung. Anschließend
gingen wir mit Schawinski
in ein Irish Pub in
Berlin. Dort stellte er
uns die Frage, warum wir
es in Deutschland nicht
genauso machen wir er mit
seinem Radio 24. Er kenne
sogar einen Berg in den
italienischen Alpen, mit
dem eine Versorgung größerer
Teile Süddeutschlands mit
einem Radioprogramm
problemlos möglich sei.
In dem Augenblick ging es
mir durch den Kopf: Ne, in
die Berge gehen –
niemals! Nun ja: Nichts
ist so beständig wie der
Wandel. Nur zwei Jahre später
sendete ich ab Anfang 1983
aus den italienischen
Alpen.
Wann hat das
Brenner-Team 1983 davon
erfahren, dass eine andere
Südtiroler Station (Radio
Bavaria/M1) gedenkt, von
einem hervorragenden
Sendestandort (Schwarzenstein)
auf Sendung zu gehen. Wie
hat man reagiert?
An diesen Vorgang kann ich
mich nicht mehr richtig
erinnern. Es war ziemliche
Aufregung im Haus. Aber
Einzelheiten habe ich
nicht mehr auf der Pfanne.
Wann haben Sie sich
entschieden, nach München
zu wechseln und warum?
Mit dem Start des
Kabelpilotprojekts in München
– das war 1984 – ging
ich in die Münchener
Schellingstraße und
sendete für Radio 44. Das
war die logische
Konsequenz aus der
Erkenntnis, dass sich das
Radio in Deutschland nur
verändern ließe, wenn
Druck von außen kommt.
Das hatte mit Radio
Brenner wunderbar
funktioniert. Zwar belegte
der Bayerische Rundfunk
die Brenner-Frequenzen mit
einem eigenen Programm, um
Brenner unhörbar zu
machen. Geholfen hatte das
letztendlich nicht. Das
Kabelpilotprojekt in München
nahm Formen an, der Beginn
des privaten Rundfunks in
Süddeutschland. Und
jetzt, wo es in
Deutschland mit dem
Privatfunk los ging,
wollte ich natürlich
dabei sein.
War es eine große
Umstellung für Sie, plötzlich
wieder "Radio in
geregelten Bahnen" zu
machen?
Welche geregelten Bahnen?
Auch Radio 44 war
meilenweit von einem
formatdefinierten
Radioprogramm entfernt,
wie wir es von heute
kennen. Klar war nur, es
sollte eine jugendliche
Zielgruppe mit einem Top
40 ähnlichen Format
angesprochen werden.
Musikalisch hatte man als
Moderator weiterhin die
Entscheidungsfreiheit,
welche Titel man spielen
wollte. So hatte jeder
Moderator seine Vorlieben
– und das hörte man
auch im Programm: Thomas
Weigt frönte seiner
Country Musik, Rainer
Schauberger legte seine
Italo-Hits auf und Fred
Kogel spielte Rap und Funk
etc. pp. Ja, der Geschäftsführer
regte sich schon mal auf,
wenn man in der Frühsendung
Deep Purple spielte –
aber sonst... Da man
ja eh auf gesplitteten
Frequenzen sendete, waren
Formatentscheidungen nie für
die gesamte Frequenz gültig.
Von daher waren alle Bemühungen,
ein gewisses Format einzuführen,
für die Katz. Denn die
anderen Anbieter auf der
Frequenz machten ja eh was
sie wollten. Und das war
nicht wirklich
professionell. Da
moderierte man schon mal
auf den Ramp eines
Beach-Boys-Titels. Und als
der Titel zu Ende war,
quasselte der Moderator
immer noch. Er wusste es
wohl nicht besser. So
etwas gab es bei Radio 44
nicht. Hier war der
Anspruch wesentlich
professioneller.
Die
Radio-44-Programmverantwortlichen
(Barbara Dickmann und
Thomas Walde) ließen den
Machern einen großen
Gestaltungsrahmen. Radio
44 sollte und wollte
anders klingen als alle
anderen. Was nicht immer
gelang - zugegeben. Aber
man definierte die
Nachrichten neu, änderte
deren Inhalte, Gestaltung
und Umsetzung und führte
die erste Radio Comedy
ein. Und dass ich mit dem
Pseudonym "Dr.
Beat" moderierte, war
für sie auch kein
Problem. Das hatte
BLM-Chef Wolf-Dieter Ring,
als ich mit ihm in der Frühsendung
ein Telefoninterview zur
Neubelegung der Münchener
Kabelfrequenzen führte.
Den Moderator als
"Dr. Beat"
anzusprechen, kostete ihm
hörbar eine gewisse Überwindung.
Wenn Sie an Ihre
Radiozeit in Südtirol und
München zurück denken,
welches persönliche Fazit
würden Sie ziehen?
Es war eine spannende
Zeit. Erst später wurde
einem richtig klar, dass Südtirol
und München ein
historischer Zeitabschnitt
war: Man war nicht nur
Zeitzeuge, - nein, man war
aktiv beteiligt bei der
Einführung des privaten
Rundfunks in Deutschland.
Man hat die anfängliche
Goldgräber-Mentalität im
Privatfunk erlebt, die
dann von
Controller-gesteuerten
Rechenschiebern abgelöst
wurde. Die ausgetragenen
persönlichen Animositäten
zwischen einzelnen
Mitarbeitern in Sterzing würden
heute Bestandteile einer
erfolgreichen
Trash-Doku-Serie im
Fernsehen sein. Und nicht
zu vergessen: Mit Dr.
Thomas Walde habe ich in München
einen Journalisten kennen
gelernt, mit dem ich
anschließend gemeinsam
einen jahrelangen Weg
durchs Radiobiz gegangen
bin. Von ihm habe ich
nicht nur vieles für die
Praxis gelernt, sondern
auch über mögliche Höhen
und Tiefen in einem
beruflichen Werdegang.
Einen solchen Mentor wünsche
ich allen.
Herr Kauer, herzlichen
Dank für das Gespräch.
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