'Wenige Tage nach dem Sendestart wollte man mich verhaften' 

Zeitzeugen-Interview mit dem Südtiroler Radiopionier Christian Chindamo von Witkenberg
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Er ist der Radiopionier schlechthin in Südtirol: Im März 1976 wagte sich Christian Chindamo von Witkenberg, Jahrgang 1942,  mit der Freien Südtiroler Welle (FSW) in ein bis dato fast komplett unbekanntes Fahrwasser und startete das erste deutschsprachige Privatradio auf UKW in Südtirol. Lediglich Radio Bolzano Dolomiti war zu diesem Zeitpunkt bereits einige Wochen auf Sendung; der italienische Privatsender war bereits im Dezember 1975 on air gegangen.

Mehrere Jahrzehnte lang prägte Christian Chindamo die Südtiroler Privatradio-Szene. Zur FSW gesellten sich  Sender wie der Burggräfler Landfunk (BLF), Radio Atlantis oder das Stadtradio Meran.  Im Exklusiv-Interview lässt Christian Chindamo diese aufregende Zeit noch einmal Revue passieren.

Herr Chindamo, welchen Bezug hatten Sie zum Medium Radio, bevor die Freie Südtiroler Welle im März 1976 auf Sendung ging?

Das war einfach ein Traum. Ich war zwar zuvor schon Amateurfunker, aber da war immer dieser Reiz, mal für ein großes Publikum Radio auf UKW zu machen, sich selbst im Radio zu hören und natürlich auch von vielen Leuten gehört zu werden. Ich glaube, das kann man sich heutzutage kaum mehr vorstellen, wie faszinierend dieser Gedanke damals war.   

Wie lange haben Sie den Sendestart vorbereitet und wie verliefen die ersten Wochen und Monate?

Das waren nur wenige Tage. Mein erstes "Studio" war meine Küche; dort hatte ich innerhalb von zwei Tagen alles auf einem Tisch aufgebaut. Aber kaum war ich auf Sendung, fingen die Probleme ja erst an. Der damalige Quästor (Polizeioberhaupt; Anm.d.Red.) wusste nämlich damals noch nichts von der neuen gesetzlichen Regelung, das eine Meinungsverbreitung mit allen Mitteln gestattete. Genau dadurch wurde ja der Weg für Privatradio frei gemacht. In Unkenntnis der Sachlage befragte man mich stundenlang. Und der Quästor wollte mich eigentlich wegen eines illegalen Delikts festnehmen, hätte nicht ein Freund die ganze Geschichte an die Tageszeitung "Corriere dela Sera" weitergeleitet. Dort widmete man mir tatsächlich einen Artikel auf der Titelseite. Dies muss den Quästor enorm beeindruckt haben, denn ich durfte wieder gehen. 

Aber das war nicht alles. Ich habe nämlich zunächst einmal in der ganzen Umgebung Störungen verursacht. Ich war eigentlich auf dem kompletten UKW-Frequenzband zu hören. Abends musste ich ausschalten, damit die Leute im Haus überhaupt noch TV-Programme empfangen konnten. Ich hatte einfach zu wenig Erfahrung. Den ersten Sender hatte ein Bekannter in Genua gekauft; es sollte angeblich ein Quartz-Sender sein. Doch wie sich hier in Südtirol schnell herausstellte, stimmte das nicht. Der Sender war also "freischwingend", die Frequenz wanderte ununterbrochen hin und her. Ich habe deswegen zu dieser Zeit auch noch nicht rund um die Uhr gesendet. Wenn ich Lust hatte zu senden, habe ich einfach eingeschaltet. Das Musikarchiv bestand in dieser Phase aus fünf oder sechs Langspielplatten. Eine davon war von Abba, die damals gerade den Hit S.O.S. hatten.

Wie war damals die Hörer-Resonanz?

Sehr positiv, obwohl ich ja nicht immer auf Sendung war. Die Leute haben einfach gewartet und sich dann gefreut, wenn sich auf der Frequenz 103,6 in Meran und Umgebung etwas tat. Die Antenne, die mir ein Amateurfunker gebastelt hatte, stand damals auf meinem Hausdach in der Meraner Romstraße. Allerdings war vom ersten Tag an klar, dass ich das Sendegebiet so schnell wie möglich erweitern würde. Zu diesem Zweck habe ich mich damals an die deutsche Firma "Rohde & Schwarz" gewandt. Die hat eine Projekt-Analyse durchgeführt, die mich sehr viel Geld kostete. Anschließend garantierte man mir, dass ich bei Anschaffung hochprofessioneller Geräte von der Romstraße aus auch Bozen abdecken würde. Darauf habe ich mich verlassen - mit dem Resultat, dass ich auch nicht wesentlich weiter kam als vorher. Bei "Rohde & Schwarz" war man allerdings so seriös, dass man alles zurückgenommen hat. So entstand mir glücklicherweise kein zu großer finanzieller Verlust. Jedoch hatte ich durch diese Geschichte natürlich die Erkenntnis gewonnen, dass ich für die Erweiterung meines Sendegebiets Umsetzer benötigen würde.

Wie fanden Sie hierfür die geeigneten Standorte?

Ganz einfach: durch viele Tests. Zunächst habe ich es zum Beispiel von Marling oder von Vellau aus probiert, dann von der Mut aus. Marling hätte nur in Richtung Vinschgau funktioniert, nicht aber in Richtung Bozen. Von der Mut aus konnte ich beide Richtungen abdecken, weswegen ich mich dann für diesen Standort entschieden habe. Da war damals noch kein anderer Sender droben. Wohlgemerkt: Das war alles noch im  Jahre 1976, ging also recht zügig. Auf den Standort Mut folgte dann Perdonig. Die Stromkabel haben wir, wenn nötig, selbst hinauf gezogen.

Auf der Mut hat man mir dann mal die ganze Anlage angezündet. Da blieb kaum mehr etwas davon übrig; ein großer finanzieller Verlust also. Ich fuhr zu diesem Zeitpunkt gerade mit dem Auto von Bozen in Richtung Meran und habe es oben qualmen sehen. Wer für den Brand verantwortlich war, konnte nie genau ermittelt werden; es gab nur Vermutungen. Aber natürlich habe ich sofort eine neue Anlage aufgebaut. Denn von der Mut aus kam ich mit nur drei Watt immerhin bis Bozen und auch in Richtung Auer. Man darf allerdings nicht vergessen, dass im UKW-Band damals noch extrem viel Platz war. Den Ausbau habe ich dann so zügig voran getrieben, dass die FSW 1978 bereits in ganz Südtirol zu hören war.

Und dennoch haben Sie die FSW 1982 verkauft. Weshalb?

Das hatte wirtschaftliche Gründe. Von 1980 an betrieb ich ja mit dem Burggräfler Landfunk auch schon einen zweiten Sender, den mir übrigens Mitarbeiter ursprünglich zum Geburtstag geschenkt hatten. Alle ausrangierten Geräte wurden dafür wieder aktiviert. Und es gab ja sogar noch einen weiteren Sender, nämlich Radio Atlantis (Ab Mitte der Achtziger bis Mitte der Neunziger auf 96,2 in Meran & Umgebung; Anm.d.Red.). Dafür hatte ich ein Abkommen mt Radio Luxemburg. Ich habe deren Programm via Satellit übernommen und in Südtirol ausgestrahlt. Und ich durfte natürlich eigene lokale Werbung verkaufen. Der Sender von Radio Atlantis stand oberhalb von Marling in der Nähe vom Gasthof Tschigg. Von diesem Standort aus sendet heute Radio Edelweiß. Grundsätzlich muss ich sagen, dass ich mit dem BLF das meiste Geld verdient habe. Das Programm war extrem kostengünstig.

Aus der FSW wurde schließlich Radio Transalpin, der Sender strahlte auch in Richtung Nordtirol und Bayern. Doch der Erfolg blieb aus. Hatte das Projekt aus Ihrer Sicht überhaupt eine Chance?

Nein, gar keine; und zwar aus technischer Sicht. Der Standort Wilder Freiger war für Sendungen in Richtung Norden nicht besonders geeignet. Deswegen blieben auch Werbeaufträge aus. Außerdem gab es zu dieser Zeit in Deutschland bereits Privatradio, was die Sache noch erschwerte. Nicht zuletzt waren auch die Inhalte und das Musikformat nicht durchdacht. Hier in Südtirol hat das alles übrigens kaum jemanden interessiert. Außer einiger Zeitungsartikel hat man man von den Sendern, die nach Norden strahlten, so gut wie gar nichts mitbekommen. 

Auch den Burggräfler Landfunk, der sich ab 1995 "BLF - Sender Meran" nannte,  haben Sie dann letztendlich verkauft, und zwar an die Kirche. Was war der Grund dafür?

Ich wollte einfach nicht mehr; es waren immerhin über 30 Jahre. Auch meine Frau hatte keine Lust mehr, weiter Radio zu machen.  Der BLF hieß dann schließlich "Stadtradio Meran", bis Ende Januar 2010 lief noch das bekannte Programm. Mittlerweile gibt es nur noch Musik und Nachrichten.

Sie haben sich nunmehr komplett aus dem Radiogeschäft zurückgezogen. Hören Sie noch Radio?

Ja, schon. Aber keine Südtiroler Sender, sondern bevorzugt die italienische Station RDS (Radio Dimensione Suono, ein Radio-Netzwerk aus Rom; Anm.d.Red.). Am meisten auf die Nerven geht mir Südtirol 1. Die versuchen Ö 3 zu kopieren, es gelingt ihnen aber nicht. Alles klingt irgendwie gekünstelt. Überhaupt hat sich die Radio-Szene in Südtirol eher zum Negativen verändert. Es gibt einen dominierenden Sender mit Südtirol 1. Der hat dieselben Eigentümer, die auch die Presselandschaft dominieren. Da kann es keine echte Vielfalt mehr geben.

Herr Chindamo, herzlichen Dank für das ausführliche Gespräch.